Das Great Barrier Reef ist es. Die Galapagos-Inseln, der Amazonas und der Grand Canyon sind es. Weltnaturerbe. Und seit 2009 auch das deutsche Wattenmeer. Es gehört zu den 200 Naturreservaten der Erde, die unter besonderem Schutz stehen, damit sie so einmalig bleiben wie sie sind. Ob das in den vergangenen zehn Jahren im Wattenmeer gelungen ist? Und ist es zu verantworten, dass seit der Auszeichnung deutlich mehr Touristen kommen? Fünf ganz unterschiedliche Menschen, die mit und vom niedersächsischen Wattenmeer leben, ziehen Bilanz zum runden Geburtstag.

Peter Südbeck: Nationalpark-Chef hält dem Wattenmeer den Rücken frei

Peter Südbeck - Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer

Peter Südbeck ist Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer in Wilhelmshaven. Bild: Andrea Lammert/Die Nordsee GmbH.

Der Himmel zaubert Wolkenberge an der niedersächsischen Nordsee, vorn strahlend weiß, hinten schwer und düster. Peter Südbeck macht das nichts aus. In Gummistiefeln watet der Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer durch die Salzwiese bei Cäciliengroden. Es gluckst und schmatzt unter seinen Füßen, als er seinen Kontrollgang macht. Die Sonne lässt Halligflieder und Strandmelde in sanften Gelbtönen erstrahlen. „Etwas Besseres als die Auszeichnung Weltnaturerbe hätte uns gar nicht passieren können“, blickt Südbeck zurück, während er mit seinem Fernglas den Himmel nach Vögeln absucht. „Der UNESCO-Titel ist nicht nur eine Auszeichnung, es ist eine Verpflichtung der Natur gegenüber.“ Zudem lockt er deutlich mehr Touristen in die Region, die neugierig auf das Watt geworden sind. Das sei überall deutlich zu spüren. „Und der Tourismus ist wichtig für den Schutz des Wattenmeeres, weil er das Bewusstsein der Menschen dafür schärft.“ Während Südbeck erzählt, rascheln Austernfischer, Säbelschnäbler, Alpenstrandläufer oder Silbermöwen zwischen den Gräsern der Salzwiesen und suchen Futter. Dass sie es so ungestört können, ist nicht selbstverständlich.

Denn die Interessen am Watt sind groß: Ölfelder wecken Begehrlichkeiten und so mancher Bauer würde die Salzwiesen lieber beackern. Seit dem UNESCO-Titel ist das vorbei. Doch dass das Watt so bleibt wie es ist, ist ein unmögliches Unterfangen. Die aus geologischer Sicht sehr junge Landschaftsform, 10.000 Jahre alt, ist aktiver als die meisten Vulkane dieser Welt. Sie schüttet Sand zu neuen Inseln und Sandbänken auf und arbeitet beständig an der Küstenform, die keinen Tag aussieht wie am anderen.

Südbecks Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer ist erste Anlaufstelle für Landwirte, Ölfirmen, Fährbetreiber, Windenergiehersteller, um den Schutz so groß wie möglich zu ziehen oder auch zwischen Konflikten zu vermitteln. Während im südlich von Wilhelmshaven gelegenen Cäciliengroden der Blick über den Horizont nur durch die Natur und das Watt gleitet, ist das nördlich von Wilhelmshaven anders. Dort sind am Horizont große Frachter zu sehen. „Der Schiffsverkehr hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen, das ist eine der großen Herausforderungen für den Schutz des Welterbes“ sagt Südbeck und seine blauen Augen verfärben sich dunkel. „Eine Havarie wäre das Schlimmste, was uns je passieren könnte.“ Ein Hauptaugenmerk der Nationalparkverwaltung liegt deswegen darauf, Reedereien zu schulen und für den Schutzraum Watt zu sensibilisieren.

Joke Pouliart: Nationalpark-Wattführer und nachhaltiger Unternehmer

Nationalpark-Wattführer Joke Pouliart

Joke Pouliart ist zertifizierter Nationalpark-Wattführer und kennt den Lebensraum und seine unglaubliche Artenvielfalt. Bild: Andrea Ullius_ullala.ch.


„Nur was der Mensch kennt, kann er auch schützen“, sagt Joke Pouliart und lässt die Wattwanderer eine Garnele aus der Nähe betrachten. Der gebürtige Rheinländer ist zertifizierter Wattführer und vor drei Jahren hat er waddensea.travel gegründet. Mit dem Unternehmen will er den nachhaltigen Tourismus in der Region vorantreiben. Auf der dazugehörigen Plattform hat Pouliart aus eigenen Angeboten und denen von Kollegen und Partnern Pauschalpakete geschnürt: Wattwanderungen natürlich, aber auch Übernachtungen, kulinarische und kulturelle Erlebnisse, Transfers und was sonst so dazu gehört. „Für mich und meine Familie ist das Wattenmeer inzwischen die Lebensgrundlage. Unser Ziel ist das Erleben dieser einzigartigen Natur für Gäste mit hohem Qualitätsanspruch und nachhaltigen Grundsätzen.“

Vor 10 Jahren hatte der damalige Hafenmeister von Langeoog so manche Aktion gestartet, weil ihm der Nationalpark und die Auszeichnung Weltnaturerbe zu wenig präsent waren. Mit wenig Feedback, wie er rückblickend findet. Das hat sich an der Niedersächsischen Nordsee inzwischen geändert, doch laut Joke Pouliart gibt es noch viel Luft nach oben. Die ganze Region sollte idealerweise vom Welterbe-Geist durchdrungen sein: „Denn das Wattenmeer ist die Marke, die man stärken muss.“

Jan Kalusche und Katrin Meier: Opfern ihre Freizeit für das Wattenmeer

Jan Kalusche und Katrin Meier Nationalpark Wattenmeer

Jan Kalusche und Katrin Meier haben das Netzwerk Watt N mitgegründet, in dem sich rund 700 junge Menschen engagieren. Bild: Andrea Lammert/ Die Nordsee GmbH.

Ein junges Paar wandert vom Deich in Wilhelmshaven Richtung Watt. „Das Wattenmeer hat uns von Anfang an total geflasht“, erzählt Jan Kalusche (29). Der Landschaftsplaner untersucht gerade in seiner Masterarbeit die Einflüsse des Klimawandels auf das Wattenmeer. „Ich würde mir wünschen, dass die Menschen hier erkennen, was für einen Schatz sie direkt vor der Haustür haben“, sagt er.

Jan Kalusche und seine Freundin Katrin Meier kamen als Zivildienstleistende und als Freiwillige des ökologischen Jahres. Und sie sind nicht nur geblieben, sondern haben 2015 das Netzwerk Watt N mitgegründet. Es vereint rund 700 junge Menschen aus ganz Deutschland, die ihren Freiwilligendienst am Wattenmeer verbracht haben und sich weiterhin dafür engagieren wollen. Denn auch das Wattenmeer in Niedersachsen ist vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen. Steigt der schneller als das Watt, säuft es ab und fällt als Nahrungsquelle für Millionen von Zugvögeln aus. Ein ökologisches Desaster. Damit das nicht passiert, opfern Jan Kalusche und Katrin Meier viel Freizeit, genau wie der harte Kern von Watt N. Der besteht aus rund 40 Aktiven, die sich regelmäßig treffen, um Ideen und Aktionen zu erarbeiten, etwa das Plastiksammeln am Strand und Vogelbeobachtungen mit Kindern. Die 28-jährige Geowissenschaftlerin Katrin Meier würde gern weiter mit dem Wattenmeer arbeiten. „Hier hat die Natur eine unglaubliche Dynamik, alles verändert sich und wird doch gesteuert von einem System, das wesentlich größer ist als man selbst.“

Maren Tapken: Wirtin und Patin des schönsten Festivals aller (Ge)Zeiten

Maren Tapken - Inhaberin des Café Kurhaus in Dangast

Maren Tapken – Inhaberin des Café Kurhaus in Dangast. Bild: Martin Stöver.


„Die Menschen denken mehr über das Fliegen und die Umwelt nach und verzichten zugunsten der Nordsee auch mal auf eine weite Reise“, das beobachtet Maren Tapken, Inhaberin des Café Kurhaus in Dangast. Vom großen Saal in dem Traditionshaus in vierter Generation hat man direkten Ausblick auf das Wattenmeer. Rund 40 Prozent der Urlauber an der niedersächsischen Nordseeküste geben in einer aktuellen Befragung an, dass die UNESCO-Auszeichnung eine wichtige Rolle bei der Auswahl des Ferienziels gespielt hat. Und weil mehr los ist, wird auch kulturell nachgelegt. Maren Tapken findet jedoch, dass sich alles zu sehr auf die Städte konzentriert. „Wir brauchen mehr Aktionen und Förderung auf dem Land“, sagt sie. Selbst lässt Maren Tapken im Kurhaus nicht nur zahlreiche Konzerte, Lesungen und Kabaretts stattfinden, sondern ist auch einmal im Jahr Patin eines kultigen Musikfestivals mit Bühne direkt am Strand, dem Wattenschlickfest, das mit dem Spruch beworben wird „das schönste Festival aller (Ge)Zeiten“.

Salzwiese am Wattenmeer

Salzwiesen bilden den Übergang zwischen Watt und Festland, auch dieser Lebensraum stellt Anforderungen an Pflanzen und Tiere. Bild: FlorianTrykowski/Die Nordsee GmbH.

So wird die Region langsam aber stetig immer attraktiver für anspruchsvolle Natururlauber – und nicht nur das. Der Gedanke, den Vogelzug zu schützen, zieht vom Wattenmeer um die Welt. Heute ist die Nationalparkverwaltung auch im afrikanischen Guinea-Bissau oder Mauretanien im Vogelschutz aktiv, denn: „Dort kommen unsere Vögel an“, erzählt Nationalparkleiter Peter Südbeck. „Wenn wir sie schützen wollen, müssen wir auch in diesen Ländern tätig werden, aufklären, sensibilisieren und uns für den Schutz stark machen.“ So hat die UNESCO-Auszeichnung letztendlich auch ein Stück globales Denken in den Naturschutz der Nordseeküste gebracht, dessen Einfluss tatsächlich bis nach Afrika reicht, während man vor zehn Jahren nur in den Grenzen der eigenen Deiche geplant hat.